China nach dem 18. Parteikongress: neue Aufstellung, alte Politik?

Foto: Bert van Dijk Quelle: Flickr, Lizenz: CC-BY-NC-SA

16. November 2012
Katrin Altmeyer
Am Morgen des 15. November traten sieben Männer auf die Bühne der Großen Halle des Volkes am Pekinger Tiananmen Platz und beendeten die Spekulationen, wer es ins höchste Führungsgremium der Kommunistischen Partei Chinas schaffen würde. Mit dem neuen Generalsekretär der Partei, Xi Jinping, und dem künftigen Regierungschef Li Keqiang hat der 18. Ständige Ausschuss des Politbüros der KP China nur noch sieben Mitglieder, statt wie zuletzt neun. Doch wie zuvor repräsentiert die Besetzung einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Partei, wobei ausgesprochene Reformer gar nicht zum Zug kamen. Die Partei hatte nach dem Tod Mao Zedongs dafür gesorgt, dass Entscheidungen über das Milliardenvolk nicht mehr von einem einzelnen starken Mann getroffen werden können. Auch der 18. Parteikongress wurde langwierig und in Abstimmung mit Vertretern verschiedener Lager vorbereitet.

Alle fünf Jahre findet der Parteikongress statt, bei dem neben Personalentscheidungen auch neue politische Leitlinien verabschiedet werden, alle zehn Jahre wird eine neue Partei- (und Staats-)führung gekürt. Jetzt tritt die fünfte Führungsgeneration an. Ob diese Führung eine neue Politik einleitet, darf aber bezweifelt werden. Auch dieser Parteitag hat nicht die Weichen für die notwendigen grundlegenden Reformen gestellt.

Als im November 2002 der künftige chinesische Parteichef und Staatspräsident Hu Jintao und der neue Premierminister Wen Jiabao vorgestellt wurden, hofften noch viele Chinesen, dass die neue Regierung politische Reformen in Angriff nehmen würde. Zu ihren politischen Zielen, Überzeugungen und konkreten Plänen hatten sich Hu Jintao und Wen Jiabao bis zu ihrem Amtsantritt genauso wenig geäußert, wie heute Xi Jinping und Li Keqiang. Umso mehr spekulierten die Menschen in China darüber, welche Politik diese vierte Führungsgeneration der KP Chinas vertreten würde.

Viele Beobachter glaubten damals, dass dem Jahrzehnt der wirtschaftlichen Liberalisierung nun eine Ära politischer Reformen folgen werde. Parteiführer Jiang Zemin und Premier Zhu Rongji hatten in den 90er Jahren konsequent die marktwirtschaftliche Liberalisierung und Öffnung des Landes vorangetrieben, die Deng Xiaoping begonnen hatte. Investitionen flossen ins Land und ermöglichten den Ausbau von Produktionsstätten für Konsumgüter, die in die westliche Welt exportiert wurden. Neue Arbeitsplätze entstanden. 2001 trat China nach 15 Jahren Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) bei, und war wenig später das größte Empfängerland ausländischer Direktinvestitionen. Viele Chinesen wurden reich, aber vor allem auf dem Land, wo damals noch 900 Millionen Chinesen lebten, ging es vielen schlechter. Grund und Boden wurde für Entwicklungsprojekte enteignet, die staatliche Fürsorge brach weg, und finanzielle Belastungen stiegen. Die eiserne Reisschale war zerbrochen.

Das Vermächtnis von Hu und Wen

Hu und Wen hatten nach ihrem Amtsantritt Reformen versprochen. Das Wirtschaftswachstum sollte künftig sozialer und umweltverträglicher werden. Die „Harmonische Gesellschaft“ wurde zum neuen Schlagwort. Erreicht werden sollten diese Ziele durch die sogenannte „wissenschaftliche Entwicklung“, die sich auf ausführliche gesellschaftspolitische Analysen und Empfehlungen stützt. Tatsächlich gelang es der Regierung, in ihrer ersten Amtszeit die Abgabenlast von Bauern zu reduzieren und die neunjährige Pflichtschulzeit staatlich zu finanzieren. 2007 verabschiedete sie ein Arbeitsvertragsgesetz, das die Rechte von Arbeitnehmern stärkt. Aber weitere Reformen kamen nicht oder nur schleppend voran. Der Aufbau sozialer Sicherungssysteme ist längst nicht abgeschlossen. Die Reform des Haushaltsregistrierungssystems, die die krasse Benachteiligung der Menschen auf dem Land lindern sollte, wurde nicht einmal ernsthaft angegangen.

Auch die Versprechungen zum Umweltschutz wurden nicht eingelöst. Ein lange debattiertes „grünes Bruttoinlandsprodukt“ wurde nach der der ersten Amtszeit stillschweigend von der Agenda gestrichen. Der Zustand von Chinas Gewässern sowie die Boden- und Luftqualität haben sich in den letzten zehn Jahren drastisch verschlechtert.

Ein weiteres Bekenntnis der letzen Führung galt der Weiterentwicklung der innerparteilichen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Beides blieb im Wesentlichen ein Lippenbekenntnis. So ist es selbst für die Mehrzahl der Delegierten des diesjährigen Parteikongresses nicht transparent, wie die neue Führungsgeneration ins Amt kam. Die offizielle Konkurrenz mehrerer Kandidaten um einen Parteiposten ist noch immer die Ausnahme.

Noch trauriger sieht die Bilanz in Sachen Rechtsstaatlichkeit aus. Zwar wurde in den letzten Jahren ein ganzer Katalog wichtiger neuer Gesetze erlassen, aber gleichzeitig gab es einen Wildwuchs von Verordnungen und Vorschriften, mit denen Verwaltung und Regierung in ihrem Sinne die Rechtsetzung beeinflussen. Eine unabhängige Rechtsprechung fehlt vollends. Anwälte, die Bürgerrechte vertreten sind häufig Repressalien ausgesetzt.

Angesichts der Entwicklungen für Medien und Zivilgesellschaft war die Enttäuschung all derer, die auf politische Reformen gehofft hatten, besonders groß. Ein lange erwartetes Vereinsgesetz, das zivilgesellschaftliche Organisationen stärken sollte, gibt es bis heute nicht. Den zunehmend kritischen Medien und Diskussionen im Internet begegnete die vierte Führungsgeneration mit mehr Kontrolle und Sanktionen.

Waren Reformversprechen nur Rhetorik?

Grundvoraussetzung unter der die letzte Führungsgeneration antrat, und die auch die jetzige Führung erneut bestätigt, ist der unbedingte Führungsanspruch und das Machtmonopol der Kommunistischen Partei. Eine Gewaltenteilung nach westlichem Vorbild hat die KP Chinas immer abgelehnt. Funktionierende unabhängige Instrumente zur Kontrolle der eigenen Macht hat sie nicht entwickelt. Daher gelingt es nicht, die vielfältigen gesellschaftlichen Interessen auszugleichen, und vor allem nicht, die ausufernde Korruption im Zaum zu halten.

Die hat die Partei schon lange als größtes Problem erkannt und ihr auch mit diesem Parteikongress erneut den Kampf angesagt. Aber solange die Interessen von Partei, Staat und Wirtschaft eng verflochten sind und keine unabhängigen Instanzen den Machtmissbrauch ahnden wird es kaum möglich sein, die ausufernde Bereicherung und Vorteilsnahme einzelner Parteifunktionäre einzudämmen.

Die Korruption ist maßgebliche Ursache für soziale Missstände und führt immer wieder zu Unruhen und Protesten. Die häufigen Massenunruhen (genaue Zahlen werden nicht mehr veröffentlicht) dienen als Vorwand, um die lokale Administration und den Sicherheitsapparat weiter zu stärken. Genau dieser Machtzuwachs von Verwaltung und Sicherheitsbehörden verschärft die grundlegenden Probleme weiter. In ihrem Bemühen um Machterhalt und politische Stabilität bleiben der KP Chinas kaum noch Spielräume für Reformen.

Gleichzeitig muss die Partei weiter um ihre Legitimität bangen. Die gründet sich fast ausschließlich auf die Fähigkeit, eine stabile Wirtschaftsentwicklung und wachsenden Wohlstand zu garantieren. Das ist bisher gelungen, aber die grassierende Korruption und Verlangsamung des Wirtschaftswachstums gefährden diese Entwicklung. Es wird weniger zu verteilen geben, und eine gerechte Verteilung von staatlichen Leistungen und Einkommen scheitert an den Demokratiedefiziten.

Zur Lösung dieser Probleme ist die neue Führungsgeneration kaum besser aufgestellt, als ihre Vorgänger. Ohne demokratische Legitimierung hat sie kein Mandat für echte Reformen. Die Notwendigkeit, einen Konsens zwischen den verschiedenen Strömungen der Partei zu finden, verschleppt Entscheidungen und verhindert notwendige radikale Reformen. Die Konsenskultur der KP dient dem Interessenausgleich innerhalb einer Machtelite, nicht aber dem gesellschaftlichen Interessenausgleich, den China so dringend braucht. Es wird spannend bleiben zu beobachten, wie die neue Führung die großen Herausforderungen angehen wird - vor allem aber, wie die chinesische Gesellschaft auf die Politik der neuen Führung reagieren wird.

.....

Katrin Altmeyer ist Leiterin des Asienreferat der Heinrich-Böll-Stiftung.

......

weiterer Beitrag:
Herausforderung Rechtsstaat: Stimmen aus China
Die Parteitage der KP China wurden bislang stets von Spekulationen über mögliche Reformbemühungen und die Folgen für die weiteren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Land begleitet. Beim jüngsten, dem 18. Parteitag, der am 15. November zu Ende ging, war es nicht anders. Vor diesem Hintergrund haben wir chinesische Wissenschaftler und Intellektuelle aus unterschiedlichen Fachbereichen dazu befragt, was sie sich für die zukünftige Entwicklung ihres Landes wünschen. Wir wollten von ihnen wissen, wie sie die vergangenen zehn Jahre unter der Regierung von Hu Jintao einschätzen, welche Erfolge und Rückschläge es gab und welche Herausforderungen auf die neue chinesische Führung warten. mehr»